Mein Auslandspraktikum in Finnland ─ ein Bericht unseres Auszubildenden Philipp
Im ausgehenden Berufsschuljahr 2015/2016 kam aus heiterem Himmel mein Klassenlehrer auf mich zu und fragte: „Hätten Sie nicht Lust, gegen Ende des Jahres nach Finnland zu fahren?“ Ich hielt es für einen Scherz und erwiderte, dass ich das sehr gerne tun, aber mein Resturlaub dafür wohl kaum ausreichen würde. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich nicht um einen Scherz, sondern ein ernstgemeintes Angebot, sozusagen als Pionier an einem über die Schule organisierten dreiwöchigen Auslandspraktikum teilzunehmen, das über Erasmus+ von der EU gefördert wird. Diese möchte, dass bereits in wenigen Jahren deutlich mehr jungen Menschen in der Berufsausbildung die Möglichkeit eines innereuropäischen Austauschs erhalten.
Da Finnland für mich als Outdoor-Freund und Metalhead schon länger auf der Liste stand, war ich von dem Angebot begeistert. Nach ein paar ersten Informationen mussten im Vorfeld einige Details abgeklärt werden. Da ich zwei Wochen Berufsschule verpassen und eine Woche nicht zur Arbeit erscheinen würde, musste FLYERALARM als Ausbildungsbetrieb zunächst seine Zustimmung erteilen. Da wir die ersten Schüler waren, die von der Klara-Oppenheimer-Schule über den finnischen Bildungsträger Omnia an finnische Betriebe vermittelt wurden, gab es noch keine Erfahrungswerte. Umso dankbarer bin ich FLYERALARM dafür, dass man sich nach Rücksprache mit der Schule dazu bereiterklärt hat, mich für den gegebenen Zeitraum nach Finnland zu entsenden und meine Ausbildung somit um eine internationale und -kulturelle Dimension zu bereichern.
Um an einen passenden Betrieb vermittelt werden zu können, bedurfte es einer Bewerbung mit einem Motivationsschreiben und einem Lebenslauf in englischer Sprache. Diese wurden an den finnischen Bildungsträger übermittelt. Auch Lernziele wurden in Abstimmung mit Ausbildern und Ausbildungsrahmenplan formuliert. Insgesamt nahmen an diesem Pilotprojekt vier Schüler der Klara-Oppenheimer-Schule teil. Neben zwei Auszubildenden aus dem kaufmännischen Bereich begleitete mich als weiterer ITler ein Klassenkamerad.
Nachdem zu Beginn des neuen Schuljahrs die organisatorischen und vertraglichen Einzelheiten geregelt waren, nahmen wir nach der Arbeit an einer interkulturellen Vorbereitung in der Berufsschule teil. In diesem Rahmen erhielten wir auch eine Einführung zu Land und Leuten von der Deutsch-Finnischen Gesellschaft (e.V.). Anwesend waren auch ein paar Lehrer, die eine Woche vor uns nach Finnland flogen, um bei Omnia mehr über die finnische Berufsbildung zu erfahren. Voraussetzung für die Teilnahme war außerdem, dass wir während des Aufenthalts tägliche Berichte verfassten, die dann auf der Schulhomepage veröffentlich wurden.
Am ersten Novemberwochenende hieß es dann: Auf nach Finnland! Gemeinsam mit einer Lehrerin als Begleitperson, die sich während der ersten zwei Tage unsere Praktikumsbetriebe und die Partnereinrichtung ansehen wollte, fuhren wir zunächst mit dem Zug nach Frankfurt/Main und flogen von dort aus nach Helsinki. Der Standort von Omnia befindet sich in Espoo, der zweitgrößten finnischen Stadt, die zur Hauptstadtregion Helsinki gehört. Das erste Wochenende verbrachten wir in einem Hostel, bevor wir am Montag in eine von Omnia verwaltete Unterkunft umzogen.
Der erste Eindruck von Omnia war ebenso positiv wie verblüffend. Nachdem wir mit einer Gruppe von tschechischen Gästen begrüßt und in einer Einführung unter anderem über finnische Sportarten wie Handyweitwurf, Snow- und Swampsoccer sowie Wife Carrying aufgeklärt worden waren, erhielten wir einen Rundgang durch die Bildungsstätten. Unter einem Dach findet man dort Werkstätten und Hallen für Schüler/-innen in handwerklichen Berufen, Bereiche für Modedesign, Beauty, Gastronomie und IT. Hierbei muss man wissen, dass es in Finnland keine duale Ausbildung gibt. Stattdessen werden die Schüler/-innen von staatlich geförderten privaten Bildungsträgern wie Omnia ausgebildet und erhalten über Praktika Zugang zu Unternehmen. Während der Ausbildung verdienen die Schüler/-innen nichts, aber sie ist kostenlos. Selbiges gilt auch für die Verpflegung in der Schule, wovon auch wir profitieren sollten. Trotz des schulischen Charakters, bekommen die Schüler keine Noten und können sich praktisch verwirklichen. So baut Omnia beispielsweise komplette Häuser mit Auszubildenden aus verschiedenen Fachrichtungen, die anschließend verkauft werden. Der Erlös kommt der Ausbildung zugute. Daneben unterstützt Omnia Startups, indem es diesen Büroflächen im eigenen Komplex zur Verfügung stellt.
In eben einer solchen kleinen Firma, die sich jedoch nicht mehr als Startup sah, durfte ich mein Praktikum absolvieren. Die Firma ist auf Handscanner und RFID spezialisiert, wobei sie bei Bedarf kundenspezifische Software und webbasierte Lösungen entwickelt. Im Rahmen meines Praktikums konnte ich mich unter anderem beim Deployment von Software, der Wartung und Reparatur von Geräten sowie der Entwicklung und Umsetzung von Marketingmaßnahmen einbringen. Dabei war es für mich eine wertvolle Erfahrung, mit selbstständigen Kollegen für externe Kunden zu arbeiten, Verkaufsgespräche zu verfolgen und Installationen beim Kunden vor Ort durchzuführen. Zudem hatte ich das Glück, sehr nette und engagierte Kollegen zu haben, die sich stets bemühten, mir ebenso fordernde wie spannende Aufgaben zuzuteilen. Dabei kam auch der Spaß nicht zu kurz: So durfte ich auch mit einem 3D-Drucker und Sicherheitskameras ‚herumspielen‘. Durch die guten Englischkenntnisse der Finnen wurde zudem auch das Ziel des Sprachtrainings erreicht.
Weil man nicht alle Tage in Finnland ist, habe ich meine Freizeit intensiv genutzt. In der ersten Hälfte unseres Aufenthalts lud die verschneite finnische Landschaft dazu ein, sich in die Natur aufzumachen und ein paar Seen abzuklappern, was von unserer etwas abseits gelegenen Unterkunft problemlos möglich war. Auf eine Einladung einer unserer Betreuerinnen hin ging es außerdem in eine Smoke Sauna, wobei auch das Bad im Eisloch des nahegelegenen Sees bei -10 Grad Celsius Außentemperatur nicht fehlen durfte. Darüber hinaus besuchten wir ein Eishockeyspiel, fuhren nach Turku, Porvoo, Helsinki sowie zur Suomenlinna, der geschichtsträchtigen Festungsinsel vor der Hauptstadt. Selbst ein kurzer Abstecher mit der Fähre in das wunderschöne estnische Tallinn war möglich. Ganz im Sinne des europäischen Gedankens verabredeten wir uns hierbei häufig mit Gästen aus Spanien und Tschechien. Eine Kneipentour zur Verabschiedung der finnischen Kollegen lehrte uns außerdem, dass die Finnen trotz horrender Alkoholpreise äußerst trinkfest sind.
Insgesamt war es eine vielseitige und lohnenswerte Erfahrung. Ich kann anderen Berufsschülern nur empfehlen, sich für ein Praktikum über Omnia zu bewerben, wenn sie die Chance dazu erhalten.
Der Weihnachtsmann kommt übrigens aus Rovaniemi in Lappland.